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Literatur

Zur Erinnerung an den Brienzer Mundartdichter Albert Streich (Mitteilungen 1/1999)
Aus Albert Streichs Jugenderinnerungen - 1. Teil (Mitteilungen 1/1999) 
Aus Albert Streichs Jugenderinnerungen - 2. Teil  (Mitteilungen 2/1999) 
Aus Albert Streichs Jugenderinnerungen - 3. Teil (Mitteilungen 4/1999)

Aus Albert Streichs Jugenderinnerungen (1. Teil, Mitteilungen 1/1999)

 von Hans Sommer

Aus Albert Streichs Jugenderinnerungen (1. Teil) 1972 hat Dr. Hans Sommer – den meisten Mitgliedern der BUBENBERG-GESELLSCHAFT als feinsinniger und unwahrscheinlich belesener Sprachkritiker und Sprachbetrachter in lebendiger Erinnerung – einen Sammelband herausgegeben: Uf Bärnerbode. Jugenderinnerungen von Gotthelf bis Dürrenmatt (A. Francke Bern, 1972). In diesem Sammelband gibt Hans Sommer längere Ausschnitte aus Albert Streichs Jugenderinnerungen «Tschuri» wieder. Er schreibt in der Einleitung zu Albert Streich:

Der Brienzer Albert Streich (1897 bis 1960) gehört zu den grossen Talenten des schweizerischen Schrifttums, seine gesammelten ‹Briensertiitsch Väärsa› zu den reichsten Zeugnissen der schweizerischen Dialektkunst.» – In der heutigen und den folgenden Nummern drucken wir diese Ausschnitte ab.

Eines Frühsommerabends – um die Hausecken strich der Duft von Kartoffelrösti und frisch aufgeschüttetem Kaffee – schaffte die Mutter im Garten, während ich mich mit dem älteren Bruder nebenan um ein braun und weiss gestreiftes Schneckenhaus als gegenseitig begehrtes Wertobjekt balgte. Das Schneckenhaus gehörte mir, es war das überraschende und seltene Ergebnis hartnäckiger Sucharbeit in den Löchern einer bröckelnden Mauer gewesen. Nun machte der stärkere Bruder es mir streitig mit dem endlichen Erfolg, dass ich es in der vor Abwehrhaltung fest geballten Faust zu Scherben zerdrückte in dem Augenblick, als die Mutter scharf herüberrief, wir sollten aufhören.

Eine daherkommende Nachbarsfrau fängt die Worte der Mutter auf und ruft zurück: «Ja, die Buben! Sie können nicht beieinandersein, ohne sich die Köpfe zu verhauen.» Die Mutter richtet sich hierauf am Schaufelstiel hoch und tut Bescheid: «Es ist gut, dass der Jüngere auch bald zur Schule muss, so kommt er ab der Gasse und dem Schulmeister in die juckenden Hände. Unsereins mag ihm nicht immer Meister werden!»

Unterdessen haben der Bruder und ich uns wieder einträglich mit dem Rücken an den Gartenhag gelehnt und sehen der Nachbarin gwundrig auf das Maul. «So, der Tschuri muss auch zur Schule?» sagt sie und schaut mich freundlich lachend an. «Dann gehst du mit unserer Marie, die ist im gleichen Alter.» Wie die Frau das sagt, erlebe ich zuinnerst eine Enttäuschung. Ich, ein Bub, mit einem Mädchen zur Schule gehen? Das muss doch irgendwie erniedrigend sein. Dagegen muss man sich auflehnen. Trotzig und frech geschieht es: «Nein, mit einem Mädchen mache ich das nicht!»

Da lacht die Frau auf und eine Scholle heraus, sagt noch: «Warte bis du zwanzig bist!» und geht dann ihres Weges. Aus dem Lachen und ihren Worten kann ich nichts machen. Die Mutter hingegen redet halblaut und am Schaufelstiel herunter von einer dummen Trätsche und arbeitet weiter. Da stüpft mir der Bruder auch schon seinen Zeigefinger zwischen die Rippen, dass ich aufzwicke und ihm bösgesinnt um das Haus herum nachrenne.

Es gibt eine Hatz. Der Bruder läuft schneller und geschickter, kann, wenn es ihm passt, mich abstechen und findet Zeit, hinter einem Versteck hervor die lange Nase zu machen. Darob und dem nutzlosen Hinterherlaufen werde ich schliesslich fassungslos zornig, fühle mich nur noch als ein Klumpen Wut, der schreit und weint und immer wieder, mit einem gläsernen Schleier vor den Augen, vor-wärts getrieben wird.

Zweimal sind wir schon um das Haus herumgekommen und ungeschoren an Vater vorbei, der in dem nach hinten angebauten Holzschopf lange Spanscheiter macht. Beim dritten Mal kommt auch der Bruder noch durch. Ich nicht. Da steht der Vater in der weiten Türöffnung, seine breite Stirn sticht weiss unter zerzaustem, magerem Haarschopf hervor, graue Augen sehen mich zornig an. Mit der einen Hand fasst er mich im Haar, mit der andern erhebt er ein daliegendes Scheit und lässt das, wie ich da stehe, auf meinen Hintern schwingen, fluchend mit sich überschlagender Stimme. Ich kann nicht sagen, die Schläge hätten geschmerzt. Trotzdem schrie ich, was der Hals herausgab, einfach aus der Berechnung heraus, eher losgelassen zu werden. Denn mehr als die Schläge empfand ich den fest zupackenden Griff in die Haare, den dadurch erlittenen Verlust meiner Bewegungsfreiheit und das Ausgeliefertsein an eine überlegene Kraft. Hinwiederum schien mir das laute und heftige Getue des Vaters – ich fühlte das instinktiv – als eine väterliche Schwäche. Er konnte doch sonst auch recht lieb sein, ganz im Gegensatz zu seinem jetzigen überbordenden Zorn. Irgendeine böse Macht musste in ihn gefahren sein, die ihn nun rückhaltlos regierte. Inzwischen hatte sich der Bruder fortgemacht. Nach der Strafverbüssung feixte er mich aus der Ferne mit einem unter uns übli-chen Gabelzeichen mit dem Zeig- und kleinen Finger einer Hand aus. Da lief ich, das Bubenherz aufgewühlt von Scham und Zorn und hartem Trotz, die steinige Feldgasse bergwärts, immerzu, nur fort vom Schauplatz meiner Scham, und verlor mich bis in die Nacht hinein in den steilen Grasgütern ob dem Dorf. Bis ich mit sieben Jahren zur Schule musste, waren noch mehr Geschwister gekommen, zwei Schwestern und ein Bruder. Unsere Familie hatte sich somit, die Eltern eingerechnet, auf sieben Personen erhöht. Meiner jüngeren Geschwister achtete ich mich aber wenig, auch weiterhin schloss ich mich bei allem Bubentum dem älteren Bruder an.

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