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10. SOK-TAGUNG IN ZÜRICH MIT MANIFEST – ZURÜCK AN DEN START

Rechtschreibung – Schlechtschreibung – Gerechtschreibung:
Wer darf der Sprache Vorschriften machen?

Im Zunfthaus zur Waag in Zürich fand am 23.10.2024 die 10. Tagung der Schweizer Orthographischen Konferenz (SOK) statt.
Kopräsident Dr. Urs Breitenstein und Tagungsleiterin Gabriele Christ begrüßten eine Versammlung von namhaften Experten und Interessierten, die darüber berieten, wie wir nach über zwanzig Jahren der Unsicherheit und einzelner halbherzigen Anpassungen nach einem Neuanfang zu einer vernünftigen Rechtschreibung gelangen können.
Es folgten zwei Referate: In seiner «Geschichte des Alphabets in zehn Minuten» stellte Prof. Dr. Rudolf Wachter die Entstehung und Verbreitung der Alphabetschrift vor und beleuchtete deren Bedeutung als kulturelle Errungenschaft. Stefan Stirnemann, Philologe und Publizist, lieferte einen pointierten Beitrag, in dem er problematische Eingriffe der sog. Rechtschreibreform in die Rechtschreibtradition analysierte. Er zeigte auf, wie fehlerhafte Änderungen den Weg der Reform prägten und noch prägen, und regte zum Nachdenken über die geschlechtergerechte Sprache an – ein Thema, das auch in der SOK diskutiert werden soll. Eine literarische Bereicherung des Anlasses war die Lesung des Schauspielers Robert Hunger-Bühler. Mit seinen Textbeispielen beschwor er die klangliche und gemüthafte Kraft der Sprache auf und zog die Zuhörer damit in seinen Bann.
Das Amtliche Regelwerk von 2024 mit seinen irreparablen Schwächen und die notwendige Zielsetzung der SOK
Es geht darum, zu einer möglichst „einheitlichen und sprachrichtigen Rechtschreibung“ zurückzufinden, die auch historisch gewachsene Wortzusammensetzungen respektiert.
https://sok.ch/woerterlisten/empfehlungen-der-sok-zur-deutschen-rechtschreibung/

Einer der Fehlgriffe der Reformer besteht darin, dass sie Wörter, die seit je zusammengeschrieben worden waren, durch wenig überlegte Entscheide auftrennten. Als Beispiel nennt Rudolf Wachter das Wort jedesmal, welches über zweihundert Jahre lang – auch von DUDEN gebilligt und getragen - in dieser Form geschrieben wurde, bis es 1996 durch die Rechtschreibreform wieder auseinandergerissen wurde. Das war nicht sinnvoll und führte zu Widersprüchen: einmal, zweimal, keinmal, ein paarmal und einige andere Zusammensetzungen wurden nicht angetastet. Dabei ist es geblieben, die Schreibung von jedesmal in einem Wort ist offiziell nicht einmal als Variante zulässig und deshalb aus den meisten neueren Wörterbüchern verschwunden. Die Bundeskanzlei schreibt für Texte der Bundesverwaltung vor, dass nach dem Amtlichen Regelwerk geschrieben wird. Tröstlich und erheiternd wirkt es, dass der Bund an prominenter Stelle, nämlich in seiner Schrift „Der Bund – kurz erklärt“ auf Seite 51 selbst gegen die amtliche Regel verstößt: „Bereits dreimal haben die Stimmberechtigten über eine Volkswahl des Bundesrats abgestimmt ... Jedesmal entschieden sich Volk und Stände dagegen." Der Text ist über diesen Link abrufbar: https://www.bk.admin.ch/bk/de/home/dokumentation/der-bund-kurz-erklaert.html
Ein weiteres Ärgernis der Reform ist die Inflation der Großschreibungen; als krasses Beispiel mag im Nachhinein dienen, welches wegen dem Vorspann im großgeschriebenen werden soll – aber das Nomen Nachhinein gibt es gar nicht. Ähnlich ist die barocke Aufblähung mit zusätzlichen Buchstaben: Neben dem alten Adjektiv selbständig steht nun auch – sprachlich falsch - selbstständig, Schiffahrt ist unzweckmäßig durch Schifffahrt ersetzt worden, obwohl ein dreifaches f auch beim besten Willen bei keinem Sprecher zu hören ist; in der Hochsprache wird das f sogar nur einmal und nicht zweimal angesetzt, also nicht geminiert.
Dazu kommen die Fehletymologien und Ergebnisse, die schon 1996 auf heftigen Protest stießen: greulich und gräulich sollten wir beide mit äu schreiben, obwohl sie je etwas ganz anderes bedeuten und auch nicht in einem sprachlichen Zusammenhang stehen: Das Grauen hat mit grau nichts zu tun.
Der heutige Rechtschreibrat hat es im Amtlichen Regelwerk auch in dessen neuer Fassung von 2024 nicht fertiggebracht, wesentliche Mängel der Reform von 2006 anzugehen, sondern sieht sich als Gralshüter der Reform. 
Stefan Stirnemann machte die Versammlung darauf aufmerksam, dass auch „geschlechtergerechtes Schreiben“ ein Thema sei, welches die SOK in der nächsten Zeit beschäftigen werde.
Frau Kathrin Kunkel-Razum, Leiterin der Dudenredaktion, nutzt ihren Spielraum innerhalb des Korsetts, in welches DUDEN seit der sog. Reform steckt. Vorher wachte der Verlag selbst behutsam über sprachliche Entwicklungen und nahm gelegentlich Änderungen vor, die sich an den allmählichen Wandel im schriftlichen Gebrauch der Sprache anlehnten. Frau Kunkel machte an der Tagung für die Starre im Rat für Rechtschreibung die Länder verantwortlich, die ja ihre Vertreter in das Gremium delegierten.
Wir erlauben uns immerhin anzumerken, dass diese Vertreter von der Politik willkürlich bestimmt werden; es besteht keine Gewähr, dass die besten Kenner und vernünftigsten Leute dabei sind. Es fällt auch auf, dass Elsass-Lothringen nicht vertreten ist. Soll denn Deutsch als Schriftsprache dort schon gar nicht mehr gepflegt werden? Leute aus dieser Landschaft war ja bei der Schaffung einer deutschen Schriftsprache unter den Pionieren, und in Straßburg erschien die erste deutschsprachige Zeitung. Zum Rechtschreibrat in seiner bestehenden Form kann man sagen: Zu viele Köche verderben den Brei, besonders wenn nicht klar wird, wie in der Küche gearbeitet wird.

Das Amtliche Regelwerk als Sackgasse: zurück auf Feld 1!
Das Zeichen zum Aufbruch war für die SOK die Neufassung des Amtlichen Regelwerks 2024 durch den Rechtschreibrat:
https://www.rechtschreibrat.com/DOX/RfdR_Amtliches-Regelwerk_2024.pdf
Auf dem Amtlichen Regelwerk kann keine vernünftige und einheitliche deutsche Rechtschreibung aufgebaut werden, weil die sog. Rechtschreibreform samt ihren spärlichen Retouchen die Schreibweise vieler Wörter mit barockem Ballast „angereichert“ hat, inkonsequent ist und deshalb auch nicht einfacher zu handhaben ist als die alten Regeln vor 1996.
In einer lebhaften Podiumsdiskussion unter der Leitung von Claudia Wirz, Sinologin und Journalistin, wurden einige der hängigen Themen angeschnitten. Dabei konnte Kathrin Kunkel-Razum zu mehreren Fragen ihre Sichtweise darlegen. Es ging u. a. um die Auswahl der Wörter, die in den Duden Eingang finden oder wieder daraus gestrichen werden. Am Gespräch nahmen auch Rudolf Wachter und Robert Hunger-Bühler teil. Gestreift und auch im Publikum mehrheitlich begrüßt wurde die aktuelle Abstimmungsvorlage «Tschüss Genderstern» in der Stadt Zürich, die von Susanne Brunner vertreten wurde.
Am Ende der Tagung wurde von den anwesenden Mitgliedern das Manifest „Zurück an den Start“ verabschiedet, welches die Aufhebung aller Verbote und Gebote der Reform und für längere Zeit den freien Wettbewerb der Schreibweisen fordert. So sollen in wenigen Jahren Sprachrichtigkeit und Einheitlichkeit wiederhergestellt werden.

Das Manifest im Internet:
Das Manifest kann heruntergeladen werden auf den Webseiten der SOK. Die SOK gab sich die Mühe, drei Versionen zur Verfügung zu stellen, damit Deutsche und Österreicher durch das fehlende ß in der Schweizer Version nicht irritiert wurden, Schweizer hingegen eben nicht durch dessen Verwendung.
Schweizer Version: SOK_manifest_23102024.pdf
Version mit ß nach Heyse, entsprechend der Rechtschreibreform von 1996:
SOK_Manifest_2024-Heyse.pdf
Version mit ß nach Adelung, entsprechend den Regeln bis 1996: 
SOK_Manifest_2024-Adelung.pdf

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