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DIE DEUTSCHE SPRACHE IN LITERATUR, GESELLSCHAFT UND POLITIK
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Zweisprachigkeit des Kantons Bern: eine Initiative des Regierungsrates

In der letzten Nummer stellten wir kurz den Bericht der kantonalen Expertenkommission über die Zweisprachigkeit vor und machten uns dazu schon einmal unsere Gedanken. Der Beitrag mit dem Titel Deutsch und Welsch im Kanton Bern ist jetzt hier abrufbar.

KRITISCHE ANMERKUNGEN ZUM EXPERTENBERICHT
UND EINIGE VORSCHLAEGE (APRIL 2019)

Förderung der Zweisprachigkeit in der Schule

Der Berich hält zu Recht fest, dass Mehrsprachigkeit am besten durch die Schule gefördert wird (S. 88f.). Die Meinung, dass sowohl im konventionellen Sprachunterricht als auch in neuzeitlichen Unterrichtsformen mehr gemacht werden kann und soll, teilen wir vollumfänglich.

Wer unterrichtet die andere Landessprache? Ein überholter Grundsatz und ein innerer Widerspruch

Allerdings ist in den kantonalen Bericht auch ein mindestens teilweise antiquiertes Dogma geschmuggelt worden, welches nicht zu halten ist: „Der Deutsch- bzw. Französischunterricht durch Muttersprachler ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Qualität des Unterrichts. “ (S.90)
Diese These wird, jedenfalls in dieser apodiktischen Formulierung,  am Ende zum Killer-Argument. Es stellt die Zielsetzung des zweisprachigen Unterrichtes selbst in Frage. Wozu soll dieser denn gut sein, wenn die Schüler ihr Vorbild schließlich doch nicht erreichen oder gar übertreffen können? Können weit weg von der Sprachgrenze überhaupt genug Lehrkräfte gefunden werden, welche ihre Muttersprache in einem andern Sprachgebiet vertreten? Dazu kommt, dass es ungerecht und nicht sachdienlich wäre, ziemlich ausgewogen zweisprachige Lehrkräfte von der Tätigkeit in Schulen mit zweisprachigem Unterricht auszuschließen. Dann hätten Studiengänge wie die zweisprachige Lehrerausbildung an den PHs von Bern und Delsberg keinen Sinn. (S. dazu Mitteilungen 2/2018, S. 55.) Qualifizierten Lehrkräften ist zuzumuten, dass sie sich konsequent in der ihnen zugewiesenen Unterrichtssprache äußern – sie fordern das ja auch von den Kindern. Welschen Germanisten den Einsatz als Deutschlehrer zu verwehren, wäre absurd.

Zweisprachiger Unterricht auf der Unterstufe: jede Lehrperson unterrichtet nur in einer Sprache
Im zweisprachigen Unterricht tauchen die Kinder in eine Sprache ein, welche sie zusätzlich erwerben sollen. Man spricht deshalb von Immersionsunterricht. Die Kinder lernen die Zweitsprache gleich wie ihre Erstsprache (Muttersprache). Der Unterricht erfolgt vorwiegend oder zur Hälfte in der Zielsprache, also z. B. Deutsch für Kinder mit Französisch als Familiensprache. Im zweisprachigen Unterricht auf dieser Stufe ist es möglicherweise von Vorteil, wenn eine Lehrperson in ihrem Teil des Unterrichts ihre eigene Muttersprache verwendet, die andere Lernsprache jedoch „nur“ als Zweitsprache spricht. So kommt die Lehrperson nicht in Versuchung, aus ihrer Rolle zu fallen; für die Kinder ist es am besten, wenn sie jede Lehrperson einer der Unterrichtssprachen zuordnen können. Aber eben, disziplinierte zweisprachige Lehrer sind auch in der Lage, in der Schule nur eine ihrer Sprachen zu sprechen.
Muttersprache – was ist das überhaupt?
Der Begriff Muttersprache ist keineswegs so klar, wie man naiverweise meinen könnte. Er ist jedenfalls emotional besetzt, aber die eigentliche Muttersprache ist nicht zwingend die Sprache, die jemand am besten spricht. In Graubünden z. B. ist Romanisch vorwiegend Familien- und Lokalsprache, Deutsch wird aber ebenso gut beherrscht – in vielen Bereichen des Lebens herrscht es sogar vor. Dem Deutschen werden Kinder in romanischen Dörfern heutzutage durch Personen und Medien schon früh stark ausgesetzt, meistens schon vor der  Einschulung. (S. dazu auch Mitteilungen 1/2018, S. 28 und 2/2018, S. 8-12). Kinder mit Eltern, die mehr als eine Sprache beherrschen und auch regelmäßig sprechen, werden in günstigen Fällen schon früh zweisprachig – es sei denn, die Eltern enthalten ihnen eine der Sprachen aus Scham, Geringschätzung oder Eitelkeit vor. Dies kann durchaus die Sprache der Mutter sein, wenn diese die Sprache ihrer Kindheit als etwas versteht, was sie hinter sich lassen will. So in den 80er Jahren eine mit einem Romand verheiratete Deutschbernerin in Genf: „Mir rede dihei nume Französisch. Bärndütsch? Die gruusigi Sprach lehren i doch mine Ching nid.“ Früh zweisprachig werden auch Kinder, die daheim eine andere Familiensprache sprechen als die Ortssprache.
Sprache ist nicht etwas Statisches. Kinder erwerben und lernen Sprachen schnell, sie können sie aber auch schnell wieder vergessen. Selbst Erwachsene können ihre Muttersprache teilweise verlieren, wenn sie sie nicht von Zeit zu Zeit sprechen und z.B. mit Lesen präsent halten. Vielleicht können sie selbst nach jahrelanger Unterbrechung immer noch spontan in ihrer Muttersprache sprechen, doch sind ihnen die Wörter aus vielen Lebensbereichen in der Verkehrssprache des Ortes, in dem sie leben, geläufiger geworden als in der Muttersprache.
Angelsachsen gehen den gefühlsmäßigen Konnotationen des Wortes Muttersprache oft aus dem Wege, indem sie von native tongue oder native language und deren Sprechern als native speakers  sprechen. Das ist auch problematisch, weil niemand mit einer Sprache geboren wird, sondern diese im sozialen Umfeld von Familie und Nachbarschaft lernt oder eben erwirbt. Kritisch für eine gute Aussprache und Intonation ist in der Regel das Alter, in welchem der Erwerb oder das Lernen einer Sprache beginnt.  Das Niveau von Kenntnissen und Fertigkeiten in einer Sprache hängt davon ab, wie begabt jemand ist, wie fleißig er sich um die Sprache bemüht, wie umfassend und wie lange er der Sprache in allen Lebenslagen ausgesetzt ist und sie auch selbst spricht und schreibt.
Sekundarstufe I
Die sprachliche Bindung der Kinder an eine bestimmte Lehrperson spielt gegen Ende der Primarstufe nicht mehr so eine große Rolle wie zu Beginn ihrer Schulzeit. Abgesehen von zweisprachigen Klassen der Sekundarstufe I, die es im Kanton Bern bis jetzt nur in Biel gibt, können einzelne Lerninhalte auch in den Regelklassen bereits in der Zweitsprache gelehrt und erarbeitet werden. Dass in einsprachigen Klassen über den eigentlichen Sprachunterricht hinaus einzelne Fächer in der andern Landessprache unterrichtet werden, läuft in der Regel wohl auf eine Überforderung der Kinder und vielleicht auch mancher Lehrerinnen und Lehrer hinaus. Durchaus realistisch sind aber zeitlich beschränkte Einheiten zu einem konkreten Thema (sagen wir bis zu zwei, drei Wochen).
Sekundarstufe II
Der Expertenbericht zeigt eine ganze Palette von Möglichkeiten, wie auf der Sekundarstufe II, also in der Ausbildung an Gymnasien und Berufsschulen, die Zweisprachigkeit gefördert werden kann. In diesem Bereiche werden schon verhältnismäßig viele Studiengänge angeboten, wie der Expertenbericht auf S.91-2 erwähnt. Sie dürfen, wenn eine genügende Nachfrage danach besteht oder geschaffen werden kann, gerne noch erweitert werden.
Allerdings sind wir der Meinung, dass Deutsch und Französisch nicht gegen Englisch ausgespielt werden dürfen, denn in Schlüsselbereichen der Wirtschaft geht es in der Regel nicht ohne Englisch. Neben deutsch-französischen Studiengängen sind daher zwingend für viele Bereiche auch deutsch-englische und französisch-englische anzubieten. Sowohl in den zweisprachigen als auch in den herkömmlichen Studiengängen ist ein hohes Niveau des Sprachunterrichtes in Deutsch, Französisch und Englisch anzustreben. Nur mit Dreisprachigkeit haben junge Leute in der modernen Welt Vorteile gegenüber Absolventen aus anderen Ländern. Wichtig ist auch, dass Italienisch nicht ganz unter die Räder kommt; es hat aber einen schweren Stand. Als zweite Landessprache wird es nur in Graubünden unterrichtet, als Wahlpflichtfach im Kanton Uri.
Außerdem geht es nicht an, elitäre sprachlich ausgerichtete Studiengänge oder gar Schulen einzurichten und die Regelausbildung gewissermaßen abzuhängen oder zu vernachlässigen. Als bedeutender Industriekanton ist Bern in hohem Maße auf eine gute naturwissenschaftliche und technische Ausbildung seines Nachwuchses angewiesen. Es ist deshalb wichtig, dass junge Leute, die mehr für Technik und Naturwissenschaft als für Sprachen begabt sind, in unseren Schulen auf ihre Rechnung kommen. Der Kanton Bern bildet wie die meisten andern Kantone seit Jahrzehnten zu wenig hochqualifizierte Berufsleute und Ingenieure aus, weil offenbar zu wenig junge Leute für diese Tätigkeiten motiviert werden können. Die gymnasiale Ausbildung ist insgesamt zu sehr sprachlastig, wenn auch mit den Schwerpunkt- und Ergänzungsfächern teilweise eine Korrektur erfolgt ist. In den 90er Jahren wurde am Technikum Burgdorf die Abteilung für Chemie geschlossen, weil sich zu wenig Studierende immatrikulierten, und das in einem Lande, in welchem die chemische Industrie eine führende Rolle spielt!
Was oben über die Qualifikation der Lehrer gesagt wurde, gilt hier in noch stärkerem Maße. Das Fach Französisch als Fremdsprache kann sehr wohl auch von Lehrpersonen erteilt werden, die nicht in der französischen Schweiz oder in einer welschen Familie aufgewachsen sind. Ausschlaggebend ist die sprachliche und fachliche Kompetenz einer Lehrkraft, die Vertrautheit mit der französischen und welschschweizerischen Kultur und Lebensart, die Begeisterung für die Sprache und berufliche Aufgabe sowie die menschliche und pädagogische Fähigkeit, Kenntnisse und Fertigkeiten zu fördern. Dasselbe gilt natürlich sinngemäß für Deutsch als Fremdsprache.
Es ist widersprüchlich, wenn der Bericht Zweisprachigkeit im Kanton fördern will und gleichzeitig nicht zugesteht, dass eine Lehrkraft ihre  Zweisprachigkeit auf so hohem Niveau erarbeiten kann, dass sie ihr Unterrichtsfach auch in der Zweitsprache erteilen kann. Wenn für den Fachunterricht extra Personal aus dem anderen Sprachgebiet „eingeflogen“ werden muss, ergeben sich für eine Schule erhebliche organisatorische Schwierigkeiten. Wie sollen die Stundenpläne der Lehrkräfte dann noch vernünftig gestaltet werden?

Der Berner Bär im Winterschlaf
Der Kanton ist ähnlich wie der SCB in den Playoffs. Der Berner Bär legt verschläft den Beginn und erwacht reichlich spät. Während es aber der SCB meistens schafft, das Versäumte nachzuholen und sich am Ende noch durchzusetzen, gelingt das dem Kanton Bern bisweilen nicht, weil es eben in der Politik manchmal unmöglich ist, Versäumtes nachzuholen und Schaden abzuwenden. So geschah es in der Jurapolitik. Wir können sogar sagen, dass der Kanton im 19. Jahrhundert überhaupt kein politisches Konzept zur Einbettung des neuen Kantonsteils erarbeitete, der als Ersatz für Aargau und Waadt eher geringgeschätzt wurde. Bern verlor – so lautete das Bonmot - eine Kornkammer und einen Rebberg und bekam dafür einen Holzschopf. 
Eine vernünftige Sprachpolitik war im 19. Jahrhundert, dem Zeitalter des Nationalismus, zugegebenermaßen schwierig, aber Bern hatte weder eine gute noch eine schlechte Vorstellung davon, wie die sprachlichen Gruppen innerhalb des Kantons zusammenleben sollten. Es herrschte das Laisser-faire, und das ist immer schlecht. Die von manchen Kreisen kritisierte Germanisierung des Juras fand nicht nachhaltig statt, weil sich die Mehrheit der Deutschberner und Solothurner, die sich im Berner Jura niederließen, innerhalb von zwei oder drei Generationen bereitwillig assimilierten und romanisiert wurden.
 La lutte continue. Der Kanton macht sich mit seiner nachgiebigen Jurapolitik lächerlich.
La lutte continue: Der ramponierte Berner Bär aus separatistischer Sicht.
https://www.facebook.com/pg/moutiervillejurassienne/posts/

In Biel hingegen wuchs die französischsprachige Minderheit kontinuierlich an und erkämpfte sich französische Schulen, so dass die Stadt schließlich zweisprachig wurde. Diese Entwicklung wurde aber damals vom Kanton weder gefördert noch bekämpft.
Dafür focht der Kanton – wie auch Solothurn – in den 1860er und 70er Jahren den Kulturkampf, bei dem es nicht um einen löblichen Einsatz für die Kultur ging, sondern um die Zurückbindung klerikalen Einflusses auf Gesellschaft und Politik, und klerikaler Einfluss war vor allem von der katholischen Kirche zu befürchten. So weit, so gut – oder so weit, so schlecht. Leider war die kleine katholische Minderheit damals vor allem im Norden des Berner Juras zu Hause, und sie sprach mehrheitlich Französisch. Das führte zu einer schleichenden Entfremdung. Sie wurde auch im 20. Jahrhundert weiter gefördert, indem der Große Rat in weisem Ratschluss jahrzehntelang einen freisinnigen Jurassier zum Ständerat bestimmten.
Dieser Standesvertreter mochte gelegentlich aus dem Nordjura stammen – wie zuletzt Frau Aubry. Doch die bürgerliche Mehrheit wählte als welschen Ständerat nicht etwa zur Abwechslung einmal einen Sozialdemokraten oder einen Katholisch-Konservativen, sondern wollte die „ungeteilte Standesstimme“ sichern. Im Regierungsrat hingegen war der Protestant Georges Möckli 1947(!) nicht genehm für die Führung des Bau- und Eisenbahndepartementes: nicht weil er Sozialdemokrat, sondern weil er ein Welscher war, und das aus Neuenstadt an der Sprachgrenze und ziemlich perfekt bilingue. Wir wiesen auf die Affäre Möckli, die eigentlich eine Affäre „Berner Tolpatschigkeit“ war, schon in der Nummer 3/2018 der Mitteilungen hin und wollen uns hier nicht weiter wiederholen.
Der aus der Ethnisierung großer Teile der nordjurassischen Bevölkerung durch die Agitation Béguelins und seiner Verbündeten, aus Protesten und Anschlägen und einem erzwungenen Plebiszit resultierende Verlust des eigentlich ungeliebten und immer ziemlich fremd gebliebenen Nordjuras schmerzt immer noch nach. Er wirkt sich auch auf die heutige Jurapolitik des Kantons aus.

Die Haltungen der Sprachgruppen zur Sprache und die deutsch-welschen Beziehungen im Kanton
1. Die Deutschberner
Im Vorfeld der Beratungen der Expertenkommission gingen die Regierung und weitere politische Akteure des Kantons Bern offensichtlich davon aus, dass die französischsprachige Minderheit im Kanton wenig ihres geringen Anteils an der Bevölkerung (10%) gefährdet und schutzbedürftig sei. Das ist zwar grundsätzlich falsch, aber verständlich.
Viele Deutschberner außerhalb des Seelandes haben zum Berner Jura keine besondere Beziehung und kennen ihn kaum; was „im Jura hinten“ vor sich geht, ist ihnen ziemlich fremd oder seit den Jahrzehnten der akuten Jurafrage fremd geworden. Biel als Stadt am Jurarand kennen sie hingegen schon – Biel ist nicht zu übersehen. Biels Zweisprachigkeit wird als Besonderheit wahrgenommen, die respektiert oder bewundert wird. Auch heute noch sprechen recht viele Deutschberner die französische Sprache gerne, sie hat immer noch Prestige, wenn auch weniger als früher. Wer Französisch nicht besonders mag, weil es eine schwierige Sprache ist, kann ihm außerhalb der Schule gut ausweichen. Es gibt genug Stellen, in denen man nicht darauf angewiesen ist, fließend Französisch zu sprechen.
Zu ihrer eigenen Sprache haben die Deutschberner großmehrheitlich ein entspanntes Verhältnis, sie ist für sie selbstverständlich, ihr Gebrauch ist nicht in Frage gestellt. Als ureigene Sprache wird allerdings von den meisten nur das Berndeutsch empfunden. Die Dialektwelle, die um die Mitte der Siebziger Jahre die deutsche Schweiz überflutete, ergoss sich um 1980 auch in die Schulen. Darum wurde 1991 Deutsch auch als mündliches Prüfungsfach an den kaufmännischen Lehrabschlussprüfungen (heute „Qualifikationsverfahren“) eingeführt; die Deutschlektionen an den kaufmännischen Berufsschulen wurden um ein Drittel vermehrt. Heute wird Standarddeutsch von der Berner Bevölkerung recht gut beherrscht, jedenfalls schriftlich, und auch mündlich schlagen sich die Berner leidlich, wenn die Mehrheit es auch nicht besonders gerne spricht. Unter Deutschbernern ist Hochdeutsch im privaten Gespräch praktisch verboten.
In dieser Kühle der Berner gegenüber der eigenen Standardsprache liegt eine Gefahr: Es ist den Welschen nicht ohne weiteres zuzumuten, dass Berndeutsch zu ihnen gesprochen wird. Wenn sie es schlecht verstehen, ist seine Verwendung ein Akt der Unhöflichkeit. Dazu kommt, dass die Welschen wenig Verständnis für deutschbernische Zurückhaltung gegenüber dem Hochdeutschen haben.
2. Die Welschberner
Die heutige Bevölkerung des Berner Juras ist mehrheitlich deutschbernischer und solothurnischer Abstammung, wenn auch die französische Sprache vorherrscht. Zum übrigen Kanton haben viele regelmäßigen Kontakt, fast die Hälfte spricht häufig Deutsch. Der intensive Sprachkontakt ist wesentlich durch die Nähe zur Sprachgrenze bedingt; im Berner Jura und Seeland sprechen viele Leute häufig auch die andere amtliche Sprache des Kantons, im restlichen Kanton sind es wesentlich weniger. Die Bernjurassier haben vermutlich auch recht häufig Umgang mit Verwandten im deutschen Kantonsteil; sie wählen weitgehend auch dieselben Parteien. Die bernfeindliche Bewegung der Separatisten erfasste nur eine deutliche Minderheit; das heißt nicht, dass es keine Empfindlichkeiten gibt. Die Welschberner halten Deutsch (auch Berndeutsch) für sich selbst für wichtiger als Deutschberner Französisch; sie legen auch mehr Wert auf die Zweisprachigkeit des Kantons. Sie sind mehrheitlich der Ansicht, der Kanton nehme zu wenig auf sie Rücksicht.
Deutsch und Französisch im Berner Seeland und im Berner Jura. Gelebte Zweisprachigkeit.
Leider ist der Bericht der Expertenkommission nicht auf die substantiellen Gründe für die Kritik des Kantons durch die Bernjurassier eingegangen (Anhang 1, S. 4ff.).

Ein Mantra und eine vergessene Minderheit
In der Expertenkommission war die französische Minderheit des Kantons durch mehrere Exponenten gut vertreten. Der Präsident, Ständerat Hans Stöckli, absolvierte als Deutschberner das französische Gymnasium in Biel und ist somit selber ein guter  Zweisprachler. In sprachpolitischen Fragen hat er aber vorwiegend welsche Interessen vertreten. Auch in der Kommission vertreten war die ARB, die Association romande et francophone de Berne, die ziemlich militant die Interessen der Romands in Bern und Umgebung vertritt. Vergeblich suchen wir auf der Liste der Mitglieder jemanden, der die Zweisprachigkeit des Kantons spezifisch aus Deutschberner Sicht gewürdigt hätte. Zwar bekennt sich die Kommission in ihrem Bericht nachdrücklich gleich viermal in identischem Wortlaut zum Minderheitenschutz:
„Natürlich darf dabei der Minderheitenschutz nicht vergessen werden, denn je kleiner eine Minderheit ist, umso stärker muss sie geschützt werden.“
Es ist davon auszugehen, dass es niemandem in den Sinn gekommen ist, auch einen Vertreter der deutschsprachigen Minderheit im Berner Jura in die Arbeit einzubeziehen. Diese Minderheit beträgt nur knapp einen Fünftel der Bevölkerung, ist jedoch anteilmäßig die größte aller Regionen. Sie wird aber im Kanton selbst, auch von den Politikern, kaum wahrgenommen, es sei denn als Störfaktor. Roland Béguelin diente sie zum Aufbau seines Feindbildes und zur Behauptung, der Jura werde von Bern aus germanisiert. Auch die Mundartforschung kümmerte sich lange nicht um diese Sprachgemeinschaft, obwohl sie sich von Bern aus in bequemer Reichweite als Forschungsgegenstand anbot. Erst zu Beginn dieses Jahrtausends thematisierte ihn ein Germanist in einem Kurs am Germanistischen Institut der Universität Bern und schrieb dann einen Aufsatz dazu.
Ein Teil dieser Bevölkerung geht auf bäuerliche Siedlung im 17., 18. und 19. Jahrhundert zurück, zunächst von Mennoniten (Täufern), nach 1815 auch von andern Deutschberner Bauernfamilien. Die von den Landeigentümern als Pächter angesiedelte Bevölkerung gewann Wald und Ödland für die landwirtschaftliche Nutzung oder übernahm Bauernhöfe, die von ihren Bewohnern zugunsten einer Existenz im Tal oder in Biel verlassen worden waren. Ihre Nachfahren sind heute als Sprachgemeinschaft wenig organisiert; im Gegensatz zu den frankophonen Körperschaften hat der Kanton jedoch auch keine Starthilfe geleistet.
Gleichwohl wären die Organisatoren bei den Täufern fündig geworden, die großenteils immer noch Deutsch können, obwohl der Kanton sie über eine lange Zeit planmäßig romanisiert hat. Die ländlichen Gemeinden der mennonitischen Glaubensgemeinschaft treten heute zweisprachig auf, sie sind auf der Webseite menno.ch zu finden. Lange kamen die Täufer mit großem persönlichem Einsatz und finanziellen Opfern für ihre Schulen auf. Wenn sie von den politischen Gemeinden übernommen wurden, setzte sich der Kanton oft für den Übergang zur Schulsprache Französisch ein. Die Schule in Stierenberg (Montbautier) fiel einem Anschlag zum Opfer; die Täter wurden nie gefasst, wir können aber davon ausgehen, dass es Separatisten waren. Wenige Jahre später wurden in Montbautier und  Morung (Moron), 2013 auch in Berg-Tramlingen (Mont-Tramelan) die Schulen geschlossen, als sie zu wenig Schüler hatten. Eine Lösung zu finden, mit der man den Kindern hätte helfen können, ihre Sprache zu bewahren und altersgemäß zu entwickeln, darum bemühten sich die Behörden nicht. Übriggeblieben ist die Schule von Cortébertmatten, die von mehreren Talgemeinden getragen wird.
Die kleine deutschsprachige Minderheit der Täufer im Berner Jura wurde vom 16. Jahrhundert an im Stande Bern verfolgt und später großenteils vertrieben. Viele von ihnen fanden im Fürstbistum Basel Zuflucht. Lange versuchten die Stände Bern und Solothurn zu erreichen, dass der Fürstbischof die Täufer vertrieb. Daraus resultierten auch Erlasse dieses Inhalts, doch wurden sie nicht ausgeführt. Von 1740 an verzichtete Bern auf die Verfolgung, und 1767 stellte der Fürstbischof die Glaubensgemeinschaft unter seinen Schutz. Als die Täufer im Jura 1815 wieder unter bernische Herrschaft kamen, respektierte der Kanton ihre Rechte. Die Täufer erhielten aber wenig Unterstützung vom Kanton und mussten ihre deutschen Schulen selbst finanzieren. Später betrieb der bernische Staat, als die Schulen nach und nach öffentlich wurden, in vielen Fällen aktiv die Romanisierung der Mennoniten, die sich selbst stark über ihre deutsche Sprache identifizierten. Es ist an der Zeit, dass der Kanton endlich so gut wie möglich das Unrecht, welches er dieser Glaubensgemeinschaft angetan hat, wiedergutmacht. Das kann nur durch eine Anerkennung der angestammten deutschsprachigen Minderheit im Jura geschehen und durch wirksame Hilfe bei der Bewahrung ihrer angestammten Sprache. Da die Mennoniten heute zweisprachig sind, können sie zur angestrebten Förderung der Zweisprachigkeit im Kanton Bern viel beitragen.
Manche werden wohl die deutschsprachige Minderheit im Jura für zu unbedeutend halten, als dass der Kanton sie schützen sollten. Aber wie heißt es schon wieder viermal im Expertenbericht?
„Natürlich darf dabei der Minderheitenschutz nicht vergessen werden, denn je kleiner eine Minderheit ist, umso stärker muss sie geschützt werden.“

2. VORSCHLÄGE ZUR FÖRDERUNG DER ZWEISPRACHIGKEIT IM KANTON BERN
1. Zweisprachiger Unterricht an der Volksschule
Der Kanton baut in Zusammenarbeit mit den Gemeinden zweisprachige Studiengänge auf allen Stufen der Volksschule zügig aus zu einem dichten Angebot, welches den ganzen Kanton ziemlich engmaschig erfasst. Es muss Kindern möglich sein, in zweisprachige Studiengänge auch während ihrer Schulzeit einzusteigen, aus praktischen Gründen spätestens zu Beginn der Sekundarstufe I.
Die Schulorte müssen so gewählt werden, dass sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln leicht zu erreichen sind. Um den Zugang zu diesen Klassen zu erleichtern, darf der Kanton nicht auf einer paritätischen deutsch-französischen Zusammensetzung der Schülerschaft beharren. Bei geeigneter Gestaltung ist zweisprachiger Unterricht sogar mit Schülern derselben Muttersprache möglich.
2. Stützung der Familiensprachen Deutsch und Französisch in fremdsprachigem Umfeld
Der Kanton nutzt vorhandene frühkindliche Zweisprachigkeit und fördert die Kinder in der Haltung und im Ausbau der jeweiligen Minderheitssprachen Deutsch oder Französisch. Der Unterricht ist so zu gestalten, dass er es den Kindern ermöglicht, bis zum Beginn der Sekundarschule in zweisprachige Studiengänge überzutreten.
3. Schutz der angestammten deutschsprachigen Minderheit im Berner Jura
Der Kanton schützt die angestammte deutschsprachige Minderheit im Berner Jura, insbesondere die Mennoniten. Er hilft den Angehörigen dieser Minderheit dabei, ihre Sprache zu bewahren. Für die Kinder gewährleistet der Kanton einen Unterricht, in welchem ihre Mundart respektiert und wertgeschätzt wird und ihre sprachlichen Kenntnisse und Fertigkeiten in der deutschen Standardsprache gefördert werden. Die Wohngemeinden setzen sichtbare Kennzeichen dafür, dass die Minderheit als solche wahrgenommen wird und als Teil der Gemeinde geschätzt wird. Das kann geschehen, indem wichtige amtliche Publikationen auch auf Deutsch veröffentlicht werden und die Minderheit auch im Webauftritt der Gemeinden sichtbar wird.
4. Nutzung vorhandener Zweisprachigkeit
Der Kanton will erreichen, dass viele Personen Zweisprachigkeit in Deutsch und Französisch auf hohem Niveau erlangen. Er erleichtert den Leuten, die dieses Ziel erreichen, den Zugang zu Stellen, in welchen diese Qualifikation wertvoll ist. Erfolgreiche Absolventen von zweisprachigen Studiengängen auf der Tertiärstufe (PH, EHB, Universität, Fachhochschulen) werden grundsätzlich Muttersprachlern gleichgestellt. Deutsch-, Französisch- und Englischlehrer, die ihre Studien an den entsprechenden Instituten der phil.-hist. Fakultät in Bern oder einer gleichwertigen Universität erfolgreich abgeschlossen haben, sind zum Unterricht auf der entsprechenden Stufe befähigt und werden bei Anstellungen in gleicher Weise wie Muttersprachler berücksichtigt.

WEITERE VORSCHLÄGE VORBEHALTEN!                      rww


S. dazu Harding, Edith and Riley, Philip. The Bilingual Family: A Handbook for Parents.
Cambridge (CUP), S. 105-8

Im Englischen wird t dafür den Begriff vernacular verwendet.

Die Unterscheidung zwischen Erwerb und Lernen (acquisition and learning) geht auf Krashen u.a. zurück. Laut ihnen erwerben junge Kinder eine Sprache unbewusst, indem sie ihr durch ihre Beziehungspersonen ausgesetzt werden; in der Schule und in Sprachkursen lernen ältere Kinder Sprachen, indem diese mit Hilfe von Lehrmitteln rational beigebracht werden, durch Lehrer, die anleiten, mit Hilfe von Grammatik, gezielt eingesetzten Texten und Wörterlisten in Lehrbüchern usw. Bei Lichte besehen ist der Unterschied nur graduell; Eltern bringen auch sehr jungen Kindern gezielt neue Wörter bei.  

S. 6-9, jetzt auch auf sprachen.be.

Siebenhaar, Beat. Die deutschen Sprachinseln auf den Jurahöhen der französischsprachigen Schweiz.
Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik, Bd. 71, H. 2 (2004), pp. 180-212.
https://www.jstor.org/stable/40505020

In La Tanne wirkte in den 90er Jahren ein besonders eifriger Lehrer, welcher Kinder, die in den Pausen Deutsch sprachen, zur Strafe Aufsätze auf Französisch schreiben ließ.

sprachen.be