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DIE DEUTSCHE SPRACHE IN LITERATUR, GESELLSCHAFT UND POLITIK
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Grammatik und Stilistik

LEHRER LÄMPEL: DIE E-MAIL ODER E-POST

Hier kommt Lehrer Lämpel!
Mit wachem Blick auf den heutigen Sprachgebrauch greift er Unsicherheiten und Ungenauigkeiten auf. Er klärt, korrigiert und kommentiert und möchte gemeinsam mit Ihnen darüber nachdenken, wohin unsere Sprache geht und wohin sie gehen soll.

Im folgenden Text geht es um die Bedeutung sowie die Möglichkeiten und Grenzen der E-Mail oder E-Post.
Lehrer-Laempel-Bild

Die E-Mail oder E-Post

Ich gebe es gerne zu: Ich mag die elektronischen Briefe. Sie sind ein wunderbares Mittel, um mit Menschen in Kontakt zu sein und Informationen zu transportieren.
Eine E-Mail kann verfasst und verschickt werden, wann Zeit und Gelegenheit es erlauben (ob 12 Uhr mittags oder mitten in der Nacht) und das Gegenüber kann die Nachricht ebenso flexibel abrufen – man muss also niemanden „stören“. Wir erzählen über E-Mails, wir bestellen und erhalten Rechnungen, wir fragen an, halten schriftlich fest und informieren, wir laden ein und treffen Verabredungen, wir verschicken Anträge, Tagesordnungen, Protokolle kurzfristig und kostengünstig und mit einem Tastendruck auch an mehrere Menschen gleichzeitig. Die elektronische Post hat ein riesiges Territorium erobert und ihr Nutzen für unseren Alltag ist unübersehbar.
Dabei stolpere ich ein wenig über Ausdrücke wie elektronischer Brief. Nicht nur, weil es Verwechslungen geben könnte, etwa mit Neuerscheinungen wie dem E-Postbrief der Deutschen Post (bei dem Daten elektronisch an die Post übermittelt, dort ausgedruckt und als Papierbrief verschickt werden). Sondern auch und vor allem, weil die Bezeichnung als Brief den ganz besonderen Charakter dieser elektronischen Kommunikation verschleiern könnte – insbesondere die potenziell problematischen Aspekte. Diesen wollen wir uns nun zuwenden: Was sind die Schattenseiten und die Fallstricke der E-Mail-Kommunikation? Wo heisst es aufpassen?
Die Flüchtigkeit
Schnell geschrieben, schnell verschickt, schnell gelesen, schnell verarbeitet, schnell reagiert, schnell vergessen oder schnell gelöscht: E-Mails passen in unsere schnelllebige Zeit. Sie dienen dem Bedürfnis, Dinge beiläufig und sogar gleichzeitig zu erledigen, sie bieten Befriedigung, indem wir Aufgaben und Themen flott „vom Tisch“ haben.
Genau darin steckt jedoch die Gefahr, dass wir nur oberflächlich überlegen, formulieren, rezipieren und verarbeiten (und manchmal auch viel zu vieles schreiben und teilen!). Es gilt als normal, E-Mails nebenbei zu verfassen und zu „checken“, also zu lesen – kommen die Inhalte wirklich bei uns an?
Die Undefiniertheit
Mag ja sein, wird sich mancher jetzt denken, aber E-Mails sind in punkto Flüchtigkeit und „Nebenbei-Erledigen“ doch harmlos gegenüber Kommunikationsformen wie SMS, Chat, WhatsApp, Instagram und was sonst alles durch den Äther schwirrt! – Das ist absolut korrekt. Und trotzdem verschwindet ein Problem nicht, weil es noch extremere Formen gibt. Zudem eröffnet sich hier ein weiteres Thema: Ich nenne es die Undefiniertheit der E-Mail-Kommunikation. Sie steht im Spannungsfeld zwischen ungezwungenem, unverbindlichem Netzgeplänkel und hochoffizieller Informationsübermittlung.
Intimste Angelegenheiten und explosive Emotionsausbrüche stehen neben offiziellen, distanziert präsentierten Sachverhalten; lockere Sprüche neben komplexen und minutiös ausgefeilten Sprachformen. Auch an der Bandbreite der E-Post-Adressen lässt sich dies ablesen: Da gibt es info@..., kontakt@..., office@..., aber auch mausi@...frechdachs@... oder  sportsfreund@... Nicht wenige Menschen besitzen zwei oder mehr Adressen, sozusagen für die private und die offizielle Identität.
Aus dieser Vielfalt folgen Unsicherheiten: Was „darf“ ich überhaupt in einer E-Mail? Kann/soll ich auf elektronischem Wege meinen Arbeitsplatz kündigen? Welche stilistischen Richtlinien gelten? Beginne ich eine E-Mail mit „Sehr geehrter Herr“ oder ist ein „Hallo“ passender? (Übrigens, die offiziell korrekte Schreibung dieses Anglizismus lautet E-Mail, also nicht *eMail, nicht *e-mail und auch nicht *E-mail). Wird nicht nur Flüchtigkeit, werden auch Flüchtigkeitsfehler toleriert? Bis zu welchem Ausmass? Ist eine durchgängige Kleinschreibung in Ordnung? „Auf keinen Fall“, urteilen manche. „Kommt drauf an“, werden andere antworten. Dabei wird klar: Wir bewegen uns auf schwammigem Gebiet und sollten über Entscheidungen reflektieren (ganz abgesehen von juristischen Fragen und Datenschutzproblemen, die hier lediglich erwähnt werden können!).
Die unterschätzte Macht des Geschriebenen
Was geschrieben ist, wirkt. Und damit zeigt sich ein weiteres Spannungsfeld: Wir schreiben oft flüchtig, wir lesen flüchtig im elektronischen Medium – und dennoch unterliegen wir der Wirkung verfestigter Buchstaben. Dies wird insbesondere dann problematisch, wenn ein Schreiber seine E-Mail eher unverbindlich meint, der Leser jedoch sehr genau, vielleicht sogar wiederholt die geschriebenen Worte aufnimmt. Hier – oder im umgekehrten Fall eines gewissenhaften Schreibers und eines oberflächlichen Lesers – entsteht unwillkürlich eine Diskrepanz.
Das zentrale Problem ist, dass wir die Macht der Schriftlichkeit oft unterschätzen, gerade bei einem solch „lockeren“ Kommunikationskanal. Dies führt uns zum nächsten Thema.
Die Emotionsbarriere
Haben Sie sich schon einmal heftig über jemanden geärgert? Haben Sie sich dann – emotionsgeladen – an den PC gesetzt und dem Gegenüber eine E-Mail verpasst – was diese Person zu einer entsprechenden Reaktion veranlasste? Ich kann versichern: Dies ist ein ausgezeichnetes Mittel, um die Situation eskalieren zu lassen! Steigerungsfähig ist das Ganze, wenn mehrere Personen darin verwickelt und an der E-Mail-Schlacht beteiligt sind.
Ja, E-Mails verlocken dazu, die (negativen!) Emotionen rauszuschleudern. Es verschafft bei entsprechendem Naturell Genugtuung, wütend in die Tasten zu hauen in dem Gefühl, dem Gegenüber deutlich die Meinung zu „sagen“ – dies alles im Schutz der Distanz, die der Kommunikationskanal E-Mail bietet. Das Gegenüber kann nicht nachfragen, nicht direkt reagieren, keine Grenzen aufzeigen. Daher spreche ich von Emotionsbarriere: Eine solche E-Mail steckt voller Gefühle und Gemütsbewegungen, die doch nicht direkt vermittelt werden. Das Schriftliche schliesst nonverbale Signale wie Gestik, Mimik, Tonlage usw. aus und hat gleichzeitig ungemein viel Macht (die sogenannten Emoticons und Emojis – also Zeichenkombinationen wie :), )-: oder O-: oder „Smileys“ und Bildchen – bieten nur ansatzweise Ersatz).
Auch wenn sicher viele Formulierungen, die auf diese Weise transportiert werden, „gar nicht so gemeint“ sind: Alles bisher Ausgeführte sollte deutlich machen, dass die Gefahr der Missverständnisse enorm ist – wie auch die Versuchung, zurückzuschiessen. Auch dies teilt die E-Mail mit SMS- und App-Kommunikation. Hinzu kommt jedoch, dass bei E-Mails, durch die genannte Undefiniertheit, immer noch eine Aura des Offiziellen mitschwingt und sie damit insgesamt eine grössere Ernsthaftigkeit und Bedeutung beanspruchen.
Was bleibt als Fazit?
Ich komme auf den Anfang zurück: Ich mag die elektronische Post, denn sie bereichert unser Leben. Allerdings sollten wir ihre Unzulänglichkeiten und Grenzen kennen.
Schreiben wir also nicht nur – denken wir auch darüber nach, wie wir unsere Post gestalten! Machen wir uns immer wieder bewusst, welchen Eindruck Geschriebenes hinterlässt! Und mein dringlichster Rat: Vermeiden wir es, Konflikte über den Kommunikationskanal E-Mail auszutragen!

Haben Sie Fragen zu sprachlichen Themen oder Unklarheiten? Die Schweizer Sprachberatung hilft Ihnen gerne weiter.
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