DIE SCHWEDISCHE SPRACHPOLIZEI
von R. Wyss
Sie hat nicht nur ungewöhnlich viele Mitglieder, diese Vereinigung von Sprachfreunden, sondern auch einen besonders großen Anteil an aktiven. Wer mitmacht, geht sorgfältig mit der Sprache um und hat Freude an Diskussionen und Debatten mit Gleichgesinnten. Alles mögliche wird erörtert: die Herkunft von Wörtern, auffällige Erscheinungen in der Sprache, Fragen nach der richtigen und angemessenen Verwendung von Wörtern und Formen. Gerne werden auch Fehler an den Pranger gestellt, üblicherweise mit einem Bild als Beleg. Die Diskussionen bewegen sich meistens auf hohem Niveau, immer wieder wird dabei auch geistreich geblödelt.
Die Mitglieder heißen „anonyme Sprachpolizisten“ und werden uns mit gehöriger Selbstironie beschrieben: Sie können nicht aufhören, darüber zu klagen, wie andere Leute sprechen und vor allem schreiben. Sie sind „abscheuliche Besserwisser“. Sie machen zwar auch selbst Fehler, geben das aber nicht gerne zu, da sie vollkommen und ein wenig schlauer sind als andere. Nun, dieser Klub ist kein Verein im strengen Wortsinn: Er hat zwar einen Zweck, aber keine Satzungen oder Statuten und auch keine Mitgliederversammlung. Er befasst sich mit der Art und Weise, wie die schwedische Sprache gesprochen und geschrieben wird. Er hat nur fünf Administratoren, welche Mitglieder aufnehmen und darüber wachen, dass diese zur Sache sprechen und nicht von den Themen abschweifen. Wer sich nicht benimmt, kann von den Administratoren auch ausgeschlossen werden. Jawohl, es handelt sich um eine Facebook-Gruppe namens Anonyma språkpoliser (ASP); die seit etwa drei Jahren besteht und auf über 11'000 Mitglieder angewachsen ist. Anonym sind die Leute jedoch keineswegs, die meisten treten mit ihrem richtigen Namen auf. Der leicht irreführende Name ist nur ein Müsterchen schwedischen Humors. Die Anzahl der Einträge ist groß: zehn bis zwanzig im Tag, und manche Beiträge führen zu Dutzenden bis Hunderten von Kommentaren.
Die Themen sind einerseits dieselben, die auch zur Sprache kommen, wenn über den Sprachgebrauch im Deutschen gesprochen und gestritten wird. Da das Schwedische mit dem Deutschen ziemlich eng verwandt und außrdem jahrhundertelang vom Deutschen beeinflusst worden ist, ist es spannend zu beobachten, wie in Schweden und Finnland zur heutigen Sprache, wie sie tatsächlich gesprochen und geschrieben wird, Stellung genommen wird. Anderseits kommen auf der Timeline von ASP auch spezifisch schwedische Erscheinungen zur Sprache, die im Deutschen keinerlei Entsprechung haben.
Die schwedische Sprachgemeinschaft ist deutlich kleiner als die deutsche oder gar die englische. Sie ist im wesentlichen auf Schweden und die Küstengebiete Finnlands beschränkt. Deshalb gibt es deutlich weniger internationale Bremsmechanismen für Neuerungen, die oft aus der Umgangssprache kommen, und der Respekt vor bestehenden Normen ist geringer. Dazu kommt, dass die alten Mundarten in Schweden stark zurückgedrängt worden sind und nur noch von einer Minderheit von etwa 10% regelmäßig gesprochen werden. Die heutigen Dialekte, besonders jene in den Städten, stehen der Standardsprache viel näher und beeinflussen sie ihrerseits. Die Hochsprache hat viel weniger als früher die Aufgabe, als Dach über den Dialekten die Verständigung innerhalb des gesamten Sprachgebietes zu erleichtern und zu sichern.
Da die Umgangssprache in ganz Schweden ähnlich geworden ist, wird auch der Unterschied zwischen Standardsprache und Umgangssprache oft verwischt, und viele Leute sind der Meinung, dass sie das Recht haben, Formen ihrer gesprochenen Sprache in die Schriftsprache zu tragen.
Ein Beispiel dafür sind der bestimmte Artikel de und das Personalpronomen der 3.Person Mehrzahl de/dem. Beim Pronomen müssen in der geschriebenen Sprache de im Nominativ (Subjektfall) und dem im Dativ/Akkusativ (Objektfall) unterschieden werden. Das Problem besteht nun darin, dass die meisten Sprecher diese Formen nicht mehr auseinanderhalten und immer /dom/ sagen, sogar wenn sie geschriebene Texte in der Standardsprache laut lesen. Es ist nicht verwunderlich, dass manche Schweden die Formen verwechseln oder auch oft für beides dom schreiben - besonders natürlich in informellen Texten.
Weiter regen sich Sprachpolizisten über die grassierende Getrenntschreibung auf, die im Gegensatz zum Deutschen nicht von hochoffizieller Seite gefördert und gefordert worden ist, sondern wohl vorwiegend auf englischen Einfluss zurückzuführen ist. Beispiele:
privat personer statt privatpersoner ‚Private’ mus gift statt musgift ‚Mäusegift’. Dieses Beispiel ist besonders lustig, weil gift im Schwedischen nicht nur ‚Gift’ heißt, sondern auch ‚verheiratet’ bedeutet, so dass plötzlich unfreiwillig von einer verheirateten Maus die Rede ist.
socker skatt anstatt sockerskatt ‚Zuckersteuer’. Eine Zuckersteuer gibt es nicht in Schweden, wohl aber in Norwegen, und die Schweden machen sich gerne über ihre Nachbarn lustig, mit denen sie ja so nahe verwandt sind. Schon etwas anspruchsvoller wird es, wenn die Schweden sich darüber unterhalten, wie mit englischen Lehnwörtern umzugehen ist und wie sie am besten zu schreiben sind. Seit 1950 sind viele Wörter aus dem Englischen aufgenommen worden, aber die Schweden sind doch etwas zurückhaltender als die Deutschsprachigen.
Viele Lehnwörter werden durch eigene Wortbausteine ersetzt, sei es durch Lehnbildungen oder neue Wortprägungen. Im Schwedischen gibt es keine “Homepage”, die Leitseite oder Heimseite heißt hemsida, gleich wie in den andern nordischen Sprachen. “Computer” passt nach schwedischer Auffassung weder ins Lautsystem noch ins Schriftbild der eigenen Sprache. Deshalb ist ein neues Wort gebildet worden; das Gerät, womit wir Daten verarbeiten, heißt dator, in Anlehnung an lektor, professor usw. Diese Praxis wird von den anonymen Sprachpolizisten auf Facebook nicht in Frage gestellt.
Werden englische Lehnwörter in den schwedischen Wortschatz aufgenommen, so gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten:
Wird die englische Schreibung beibehalten oder nur leicht angepasst, werden die Wörter wie gewöhnliche schwedische Wörter ausgesprochen. Der Tanz jitterbug, die Urform des Swing, engl. /?d??t?(r)b??/ wird im Schwedischen gleich geschrieben, aber /?j?t:?rbœ?/ ausgesprochen. Das Allerweltswort job /d??(:)b/ wird auf Schwedisch jobb geschrieben, mit Doppel-b, damit klar ist, dass der Vokal kurz ist und dass das Wort /j?b:/ ausgesprochen wird.
Wird die englische Lautung beibehalten, dann wird
meistens die Rechtschreibung ans schwedische System angepasst. So wird e-mail zu mejl, tape zu tejp. Auch diese Praxis wird von den Sprachpolizisten beobachtet und in der Regel unterstützt. Gelegentlich wird gefragt, wie man mit Entlehnungen wie grounda, server oder joina in ‚glockenreinem Swenglisch’ (klockren swenglishka) umgehen soll. Bis jetzt ist einhellig die Meinung vertreten worden, dass eine Überflutung der Sprache mit Anglizismen zu ver meiden sei. Für ‚handeln’, ‚tauschen’ und ‚verkaufen’ etwa kann auf eine Bildung wie trejda < to trade verzichtet werden, da es gute alte schwedische Wörter gibt wie handla, byta und sälja.
Oft geht es um Bedeutung, Herkunft oder Verbreitung schwer deutbarer und auffälliger Wörter, oft auch von Lehnbildungen.
Jemand fragt nach dem Wort gräsänka ‚grüne Witwe, Graswitwe’. Es stellt sich heraus, dass das Wort eine Lehnübersetzung nicht aus dem Englischen, sondern aus dem Hochdeutschen ist und schon für das Jahr 1738 belegt ist. Wie nicht anders zu erwarten ist, beschäftigen sich die schwedischen Sprachpolizisten auch mit weiteren Fragen von Formenlehre, Satzbau und Stilistik.
Jemand anders wirft etwa die Frage auf, ob ein Wort wie snigelposten ‚die Schreckenpost’ für die herkömmliche Post auch im Radio verwendet werden soll. Es würde zu weit führen, hier weitere Beispiele zu nennen.
Wie bereits gesagt, spielen die Mundarten spielen in Schweden, anders übrigens als in Finnland, heutzutage nur noch eine untergeordnete Rolle. Sie kommen aber gelegentlich auch bei den anonymen Sprachpolizisten zur Sprache und zu Wort und werden durchaus als bedrohtes Kulturgut wahrgenommen. Eine Sonderstellung hat die Umgangssprache im südlichen Småland – auch das ist ein Thema, das immer wieder aufgegriffen wird.
Etwas ganz Besonderes, das wir uns bis zum Schlusse auf- gespart haben, sind Neuerungen beim Personalpronomen der 3. Person Einzahl. Die männliche Form lautet han ‘er’, die weibliche hon ‚sie’. Wie sollen wir sagen, wenn das persönliche Fürwort in allgemeiner Bedeutung gebraucht wird und sich sowohl auf männliche als auch weibliche Personen bezieht? Seit einigen Jahren ist im Schwedischen hen im Umlauf, ein neues Pronomen, welches gebraucht wird anstelle von han eller hon ‚er oder sie’, honom eller henne‚ihm oder ihr’/‚ihn oder sie’. Es ist noch offen, ob sich dieses neue Fürwort am Ende durchsetzt. Die Sprachpolizisten sind sich darüber nicht einig: Die einen begrüßen die Neuschöpfung als kreative Neuerung, mit welcher die erwähnten Doppelformen vermieden werden können, die andern wehren sich vehement gegen diesen künstlichen Eingriff in die Sprache. Die Diskussion flammt immer wieder auf und ist zuweilen so hitzig, dass die Administratoren beschlossen haben, nur noch einen einzigen Thread zu diesem Thema zuzulassen. Während sich im Deutschen Themenstrang oder Strang für thread wohl nur teilweise durchsetzen wird, weil es zu lang ist, heißt es auf Schwedisch selbstverständlich tråd ‚Draht’, Faden’. Vielleicht ein Vorbild fürs Deutsche?
Mitteilungen 3+4/2006, S. 22-23.
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