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DIE DEUTSCHE SPRACHE IN LITERATUR, GESELLSCHAFT UND POLITIK
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Buchbesprechung 

Mario Andreotti: Eine Kultur schafft sich ab.Beiträge zu Bildung und Sprache.
Verlag FormatOst 2019, 120 Seiten, ISBN 978-3-03895-013-4, Fr. 28.--.

Unter einem provokanten Titel, der an Sarrazins Bestseller erinnert, hat der Verfasser, der am besten für sein Standardwerk Die Struktur der modernen Literatur bekannt ist, eine Reihe von Glossen herausgegeben, die in den letzten Jahren im St. Galler Tagblatt erschienen sind. Diese Beiträge sind sehr lesenswert, weil sie sich dem bildungspolitischen Mainstream entgegenstellen und herrschende Lehrmeinungen hinterfragen. Einige der Gedankengänge finden sich auch in Prof. Andreottis kritischer Auseinandersetzung zu Lehrplan 21 in diesem Heft (S. 15-24).
Unsere Gesellschaft leidet seiner Meinung nach unter einem Kulturverlust, weil sie zunehmend die traditionelle Bildung geringschätzt und vernachlässigt zugunsten einer modernen, utilitaristischen Bildung, welche dem praktischen Nutzen in Beruf und Alltag dient und auf historischen „Ballast“ verzichtet. Dabei wird aber Bildung mit Ausbildung verwechselt.
Dieser Gesinnungswandel hat großen Einfluss auf die Schule vom Kindergarten bis zur Universität. Angesichts des pluralistischen Charakters der Gesellschaft verzichtet heute die Schule auf die Vermittlung von Idealen und Sinnzusammenhänge auf der Grundlage der christlich-humanistischen Tradition. Die Fähigkeit, sich autonom mit den Erscheinungen und Ereignissen der Gegenwart zu befassen, setzt aber voraus, dass wir uns eingehend mit Geschichte und Literatur früherer Jahrhunderte befassen. Klassische Literatur bietet auch die beste Gedanken- und Sprachschulung, und indem wir uns auch mit der Geschichte unseres eigenen Landes beschäftigen, lernen wir, wodurch unsere Gesellschaft von heute geprägt worden ist.
In den heutigen Schulen, auch in den Gymnasien, fristet jedoch Geschichte als Fach leider nur noch ein Schattendasein. Auch Deutsch ist mit weniger Lektionen dotiert. Schwerwiegend ist jedoch folgendes: Früher konnten sich Gymnasiallehrerinnen und -lehrer darauf verlassen, dass ihre Zöglinge an den Sekundarschulen und Progymnasien in Kenntnis und Anwendung der Regeln der deutschen Sprache streng und konsequent geschult wurden. Sie konnten sich deshalb darauf konzentrieren, Gymnasiastinnen und Gymnasiasten mit Literatur vertraut zu machen und ihnen folgerichtiges Denken und das Verfassen von gut aufgebauten und stilistisch einwandfreien Texten beizubringen. Seit einiger Zeit ist diese Voraussetzung nicht mehr gegeben, und es scheint, dass es oft nicht gelingt, das Verpasste nachzuholen. 
Prof. Andreotti kritisiert Sparmaßnahmen,  welche nach den Hochschulen zunehmend auch die übrigen Schulen dem Einfluss von Sponsoren aussetzen, und wendet sich gegen die Reformwut der letzten Jahrzehnte. Mit der Bologna-Reform ist die Studiendauer an den Universitäten nicht kürzer, sondern eher länger geworden. Regelungen bis in Einzelheiten, eine Häufung von Prüfungen und Semesterarbeiten sowie kleinliche Präsenzkontrollen haben eine Jagd auf ECTS-Punkte zur Folge gehabt, die gewachsene Belastung hat den Studenten das freie Lesen von Werken und die Gewinnung eines Überblicks über die Literaturgeschichte, auch über die einzelner Sprachen, gegenüber früher erschwert. Der Lehrplan 21 setzt die Kinder zu früh der Digitalisierung aus und ermöglicht den IT-Unternehmen und Bildungskonzernen ein einträgliches Geschäft. Es geht dem Verfasser letztlich darum, dass in der Schule ein sinvolles Gleichgewicht zwischen den Fächern aufrechterhalten oder wiedererlangt wird, damit u.a. auch die MINT-Fächer nicht zu kurz kommen.
Dem Lehrplan 21 macht der Verfasser auch zum Vorwurf, dass er die Lehrerinnen und Lehrer degradiert, indem er sie zu bloßen Lernbegleitern herabstuft. Mit dem verordneten selbstorganisierten Lernen sind Schulkinder zumindest auf der Primarstufe, aber auch noch darüber hinaus meistens überfordert. Frontalunterricht ist letztlich effektiver.
Prof. Andreotti bedauert die Vernachlässigung des Italienischen in der Schweiz, einer Landessprache und wichtigen Kultur- und Wirtschaftssprache. Er ärgert sich auch über den fehlenden Einsatz der Deutschsprachigen für die Geltung ihrer Sprache in Europa, welcher zur institutioniellen Bedeutungslosigkeit des Deutschen geführt hat.

 

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