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DIE DEUTSCHE SPRACHE IN LITERATUR, GESELLSCHAFT UND POLITIK
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Deutsch im Alltag der Medien

DEUTSCH LERNEN MIT SRF

Krieg ist etwas Schreckliches, daran besteht kein Zweifel. Dennoch mutet folgender Textausschnitt seltsam an. Dass wir zu gewissen Sachen, gerade auch Musikinstrumenten, eine innige Beziehung entwickeln, sie als beseelt empfinden und in gewissem Sinne lieben, ist bekannt und verständlich. Der folgende Text auf einer Webseite von Schweizer Radio und Fernsehen SRF setzt noch eins drauf und entwickelt unfreiwilligen Humor.

Die geflohenen Instrumente

Die eindrucksvolle Inszenierung zeigt die verwaisten
Instrumente: «Die Harfen, die meist von Frauen gespielt
wurden, sind mit ihren Kindern vor dem Krieg nach Europa
geflohen. Wir haben nun alle Instrumente ins Museum
transportiert», erklärt lllia Razumeiko. Mit dabei war auch

https://www.srf.ch/kultur/kunst/kulturszene-in-der-ukraine-aus-der-russischen-rakete-erklingt-der-sound-des-todes  SRF 06.11.2023

Die zitierten Zeilen wirken auf mich gleichermaßen rührend und peinlich. Wenn ich mich um eine Analyse bemühe, finde ich dafür zwei Gründe:
1. Harfen sind wunderbare Instrumente, haben aber keine Beine und können deshalb nicht fliehen, selbst wenn wir ihnen in anthropomorphisierender Weise eine Seele zuschreiben. Dazu passt, dass von „verwaisten“ Instrumenten die Rede ist, doch ist das ein gängiges und anerkanntes Stilmittel; wir sprechen auch von verwaisten Werkstätten, Möbeln, Häusern und von verwaisten Ämtern und Direktionen. Die „verwaisten Harfen“ lassen wir deshalb gerne durchgehen.
2. Üblicherweise gehen wir davon aus, dass Musikerinnen wie den meisten Frauen ihre Kinder wichtiger sind als ihre noch so teuren Instrumente. Es flohen also sehr wohl die Kinder mit den Instrumenten und nicht umgekehrt. Selbst wenn in der besprochenen neuen Oper Genesis Musikinstrumente, die aus Museen in Sicherheit gebracht worden sind, eine wichtige Rolle spielen, ist der Wortlaut im Text unanständig, da er sich nicht auf die Handlung in der Oper bezieht, sondern auf den faktischen Hintergrund derselben. Es handelt sich, ohne Umschweife gesagt, um sprachliche Manipulation.

SRF fördert Neuerungen in der Grammatik
Wir bleiben beim Thema Krieg, doch für Humor bleibt da kein Platz, denn es wird jetzt todernst. SRF meldete am 9. November, dass ein Abgeordneter der abtrünnigen Volksrepublik Lugansk bei einem Attentat zu Tode gekommen sei:

Abgeordneter bei einem Anschlag getötet worden. Michail
Filiponenko sei in der Stadt Luhansk ums Leben gekommen,
als ein in einem Auto platzierter Sprengsatz detoniert sei,
meldet eine örtliche Nachrichtenagentur unter Berufung auf
seinen Sohn. Der ukrainische Geheimdienst hat sich
gleichentags zum Anschlag bekennt.

Seite nicht mehr abrufbar. Screenshot vom 9.11.2023

SRF erweist sich als Pionier. Der ukrainische Geheimdienst hat sich «... bekennt». Das ist eine Neuerung, wenn auch vielleicht nicht eine bewusste. Sonst hat dieses schwache Verb (sich) bekennen in Präteritum und Partizip 2 keinen Umlaut, oder – wie Jacob Grimm die Erscheinung nannte - Rückumlaut. Die Stammformen lauten also folgendermaßen:
 bekennen – bekannte – bekannt
Wir wissen ja alle, wie schnell es in einer Nachrichtenredaktion gehen muss und dass alle in der Eile Fehler machen. Trotzdem sind solche Böcke peinlich, wenn sie auf den Webseiten eines zwar unabhängigen, aber staatlich stark subventionierten Mediums erscheinen. Beim Durchlesen sollten einem Redaktor oder Korrektor solche Verstöße gegen elementare Regeln auffallen. Wir hoffen immerhin, dass solche Fehler zufällig auftreten. Doch folgender Passus, der im Internet bald danach zu lesen war, lässt uns befürchten, dass solche Erscheinungen einem Trend entsprechen und vielleicht System haben. Diese Seite war jedenfalls am 3.12.2023 abrufbar und bleibt es vermutlich noch lange:

gegen Korruption verfasst. Und das Seco hat nach einer
internen Untersuchung die Bereiche entflechtet, damit sich
kein neuer Korruptionsfall nach dem gleichen Muster
wiederholen kann. So werden Entscheide nun nach dem
Vier--Augen-Prinzip gefällt.

https://www.srf.ch/news/schweiz/groesster-korruptionsfall-seco-skandal-wird-erneut-verhandelt

Das SECO «hat ... entflechtet»: Woher der Lapsus kommt, ist schwer zu erklären. Bei dem falschen Partizip bekennt im früheren Beispiel kann noch Interferenz durch den Dialekt geltend gemacht werden, da fast überall in der Schweiz bekennt gebraucht wird (nicht aber in adjektivischem Gebrauche im Sinne von «vielen bewusst; von vielen gekannt, angesehen»: das Problem isch bekannt, e bekannte Journalist!). Doch entflochten wird durch die Form g(e)flochte(n) und eher seltenes e(n)tflochte(n) in den Schweizer Mundarten gestützt, wenn auch «entflechtet» und «geflechtet» zweifellos gelegentlich vorkommen, was bei der Zunahme von Sprechern, die nicht Deutsch als Muttersprache haben, nicht zu verwundern ist. In einem Text von SRF, der sich mit dem angesehenen SECO befasst, nimmt sich ein solcher sprachlicher Missgriff ziemlich linkisch aus.
Es stellt sich allerdings durchaus die Frage, ob SRF hier nicht, wie schon zaghaft angedeutet, eine Pionierrolle spielt oder doch zumindest einem Trend folgt. Manche starken Verben werden heute auch schwach konjugiert; bei saugen etwa sind saugte und gesaugt salonfähig geworden und treten häufiger auf als sog - gesogen. Es gibt noch mehr Beispiele, man denke an melken / melkte / gemelkt neben melken / molk / gemolken. Der Verfasser zieht die alten starken Formen vor, weil sie klangvoller sind.
Die Sprachgemeinschaft scheint den Weg der Vereinfachung zu gehen.  Es geht jedoch gelegentlich auch in die andere Richtung: So hat sich gewunken, obwohl es immer noch als falsch gilt, in der deutschen Sprachgemeinschaft weitgehend gegen gewinkt durchgesetzt.
Wir werden sehen, wie es mit Verben wie flechten und fechten weitergeht. Die Sache ist noch nicht «ausgefechtet» – pardon, ausgefochten.

SRF entdeckt neuen Schweizer Fluss
Folgende Meldung schien das jedenfalls nahezulegen. Es musste sich um einen bedeutenden Fluss handeln, bei dem eine Hochwasserstufe bestimmt werden konnte.

Schmelzwasser in den Abfluss. Stellenweise steigen die
Pegel der Flüsse stark an. Die Arve bei Genf und die Sarine
bei Fribourg erreichten die höchste
Hochwassergefahrenstufe, 5 von 5. Der Rhein erreichte bei
Basel die Gefahrenstufe 3.

https://www.srf.ch/meteo/meteo-stories/wind-und-regen-nasse-und-windige-wetterphase-beruhigt-sich

Vielleicht merkte die Redaktion nicht, dass die „Sarine“ und die Saane dasselbe sind, vielleicht hatte sie auch keine Ahnung davon, was für Flüsse es bei „Fribourg“ überhaupt gibt. Das Üchtland ist ja gar weit weg von Zürich-Leutschenbach. Deutschfreiburger haben sich daran gewöhnt, mögen es jedoch nicht sehr, und Welschfreiburger verwundert es gelegentlich, dass auf Deutsch zwar ziemlich konsequent von Genf und Neuenburg gesprochen wird, aber in manchen Kreisen beharrlich von „Fribourg“. Manchmal wird ins Feld geführt, man wolle Verwechslungen mit Freiburg im Breisgau vermeiden. Uns scheint das weit hergeholt und eine faule Ausrede zu sein. Freiburg im Breisgau ist zwar eine bedeutende Stadt, aber nur gelegentlich Gegenstand von Nachrichten in der Schweiz. Wenn von Freiburg in Deutschland die Rede ist, wird das in der Schweiz ohnehin stets präzisiert.
Natürlich sind die Redaktoren von Radio und Fernsehen unter Druck und können ihre Texte nicht lange chambrieren, bis sie dieselben veröffentlichen. Auch unser Blatt ist gegen Fehler nicht gefeit. Bei SRF können zwar nicht alle Fehler vermieden werden, doch sollte durch routinemäßiges Durchlesen verhindert werden, dass peinliche Böcke im ganzen Land und darüber hinaus verbreitet werden.

Auch an einem Auftritt des Bundes können wir nörgeln

Einst lernten wir doch, dass außer bei Eigennamen im Deutschen keine doppelten Umlaute (ä, ö, ü) geschrieben würden. Warum nun gerade bei der häufigen Präposition für damit angefangen werden soll, bleibt das Geheimnis der Bundesverwaltung, die im Namen des Bundesrates die Medienmitteilung publiziert hat:

Die Organisation füür wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD
publiziert heute die Ergebnisse der PISA-Erhebung 2022 für 81 Länder,
darunter 37 OECD-Mitgliedstaaten. PISA steht für Programme for
International Student Assessment und ist eine internationale Schulleistungsstudie. In der Schweiz beteiligten sich rund 7'000 Jugendliche

https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-99216.html

Noch etwas für Mathematiker und Buchhalter
Aus dem Rundbrief eines Pflanzen- und Samenhändlers:

Lustvoll gärtnern

«Bis zu -30% Rabatt auf Samentüten»: Wie ist das gemeint? Zahlen wir dann drauf?

rww

sprachen.be